Dieser Fall gehört zu den ungewöhnlichsten Fällen, die ich bisher erlebt habe. Mein Mandant hatte einen Strafbefehl über eine 1.800 Euro-Geldstrafe bekommen wegen des Vorwurfs der Körperverletzung, weil er zwei Polizisten auf einer Gegendemonstration in Münster mit einer Trillerpfeife ins Ohr gepfiffen haben soll. Nachdem wir gegen den Strafbefehl Einspruch eingelegt hatten, fand vor dem Amtsgericht Münster die Hauptverhandlung gegen ihn statt. Da sich der Prozess herumgesprochen hatte, war der Gerichtssaal mit rund 30 Zuschauern bis auf den letzten Platz besetzt.
Als Zeugen haben zunächst die beiden Polizisten ausgesagt, die sich beide sicher waren, dass mein Mandant ihnen absichtlich mit einer Trillerpfeife ins Ohr gepfiffen habe. Während einer von beiden berichtete, dass die Höreinschränkungen schnell vorbei gewesen seien, berichtete seine Kollegin, dass sie zwei Tage nicht zur Arbeit gehen konnte und anschließend noch 5 Tage Probleme mit dem Hören gehabt habe. Sie trat deshalb auch im Prozess als sogenannte Adhäsionsklägerin auf und forderte von meinem Mandanten 500 Euro Schmerzensgeld. Zum Glück war dieser nicht alleine auf der Demonstration gewesen. 3 Freunde konnten als Zeugen bestätigen, die ganze Zeit mit ihm zusammen gewesen zu sein. Die von den Polizisten beschriebenen Vorfälle habe es nicht gegeben, da waren sich alle 3 sicher.
Die Beweisaufnahme brachte noch weitere Ungereimtheiten zum Vorschein. So musste die Polizistin zugeben, dass sie den von ihr beschriebenen «Angriff» auf ihren Kollegen garnicht gesehen hatte. Auch räumte sie ein, dass die Trillerpfeife nicht direkt vor ihrem Ohr, sondern rund einen Meter entfernt gewesen ist. Des weiteren wurde schnell klar, dass beide Polizisten garnicht gesehen hatten, wer eigentlich gepfiffen hatte. Sie schoben dies auf meinen Mandanten, weil er ihnen am nächsten stand in dem Moment, in dem sie den Pfiff vernahmen. Im Laufe der Beweisaufnahme wurden die Zweifel immer größer und der Richter teilte mit, dass sich sein Bild von den Vorfällen deutlich gewandelt habe.
Die Staatsanwältin forderte dennoch am Ende eine Verurteilung meines Mandanten, während ich mich für einen Freispruch einsetzte. Der Richter hatte es sich wohl nicht leicht gemacht mit seiner Entscheidung. Denn anstatt der angekündigten 15 Minuten Unterbrechung brauchte er 45 Minuten, bis schließlich das Urteil gesprochen wurde. Er sprach meinen Mandanten unter großem Applaus der anwesenden Zuschauer frei.
Deutlich machte der Richter in seiner Urteilsbegründung, dass Polizisten selbst dafür verantwortlich sind, einen angemessenen Hörschutz während einer Demonstration zu tragen und auch garnicht feststehe, von welchem Lärm die Hörprobleme eigentlich stammten. Auch betonte er, dass niemand damit rechnen müsse, dass es zu gesundheitlichen Einschränkungen kommt, wenn mit einer Trillerpfeife auf einer Demonstration gepfiffen wird. Der Einsatz einer Trillerpfeife sei vom Demonstrationsgrundrecht gedeckt.
Was bleibt zurück? Eine große Erleichterung bei meinem Mandanten – und ein vorweihnachtlicher Prozess, der mir noch lange in Erinnerung bleiben wird.