Vor dem Amtsgerichts Osnabrück habe ich einen Mann verteidigt, der rund 25 Vorstrafen mitgebracht hat. Er war angeklagt, seinen Nachbarn, einen renomierten Steuerberater geschlagen, beleidigt und gegen ihn eine falsche Strafanzeige erstattet zu haben.
Als Beweismittel lagen dem Gericht die Aussage des Steuerberaters und die seiner Mutter, die alles beobachtet und gehört haben wollte vor. Mein Mandant stritt alles ab.
Ergebnis: Mein Mandant wurde freigesprochen. Denn nur auf den ersten Blick schienen die Zeugenaussagen des Steuerberaters und seiner Mutter überzeugend und glaubhaft zu sein. Auf den zweiten Blick gab es viele Merkwürdigkeiten, auf die ich den Richter hingewiesen habe, der wirklich unvoreingenommen und offen an das Verfahren herangegangen ist. Der Steuerberater und seine Mutter sagten zum sogenannten Kerngeschehen (also der eigentlichen Tat) alles exakt identisch aus, was die Aussagen schon wieder verdächtig machte. Fragen, mit denen beide nicht gerechnet hatten, konnten sie hingegen nicht beantworten (wie war das Wetter? Wer hat welche Kleidung getragen? usw.). Auch die Vorgeschichte und die Nachtatgeschichte wirkte wenig lebensnah, so wie sie von dem Steuerberater und seiner Mutter geschildert wurde. Deshalb hielt es der Richter für möglich, dass beide die Unwahrheit sagen und hat meinen Mandanten freigesprochen, der sehr erleichtert war und wohl kaum mit einem Freispruch gerechnet hatte.
Zählt also die Aussage eines Steuerberaters nun mehr als die eines zahlreich vorbestraften Verbrechers? In vielen Fällen ja, aber dennoch ist eine derartige Ausgangssituation nicht chancenlos. Ohne einen visierten Strafverteidiger sollten Sie sich gerade bei einer derart schlechten Ausgangslage aber nicht in die Hauptverhandlung begeben, denn die Ausgangslage ist tatsächlich ungünstig.